Berlin, 23. Mai 2019. 3,4 Millionen Patienten mit schweren und hochproblematischen chronischen Schmerzen werden in Deutschland von einem Arzt zum nächsten geschickt und es vergehen im Bundesdurchschnitt vier Jahre bis ihre Schmerzkrankheit erkannt und adäquat behandelt wird. Das ergab eine Online-Umfrage des Berufsverbands der Ärzte und Psychologischen Psychotherapeuten in der Schmerz- und Palliativmedizin in Deutschland e.V. (BVSD) zum jetzt veröffentlichten „BVSD-Weißbuch Schmerzmedizin 2019“. Außerdem: Es existieren zu wenig Schmerzmediziner, um den Versorgungsbedarf zu decken. Nur etwa 350.000 Patienten mit schweren chronischen Schmerzen können heute von einem der 1.206 ambulant tätigen Schmerztherapeuten in einem Quartal versorgt werden. „Politische Versäumnisse sind für diese für die Patienten beschämende Situation verantwortlich. Auch das fast alle ärztlichen Fachgruppen betreffende Nachwuchsproblem wirkt sich für die schmerzmedizinische Versorgung in besonderem Maße aus. Denn in fünf Jahren stehen 54 Prozent der heute tätigen Schmerzmediziner vor dem Ruhestand,“ warnte der BVSD-Vorsitzende, Prof. Dr. Dr. Joachim Nadstawek. Im Durchschnitt sind Ärzte 54,1 Jahre alt. Nach Berechnungen des BVSD beträgt das durchschnittliche Alter von Schmerzmedizinern hingegen 56,9 Jahre.
Zwischen den ersten Symptomen einer chronischen Schmerzerkrankung und dem Beginn von qualifizierten schmerzmedizinischen Maßnahmen liegen in den Bereichen der Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) Thüringen bis zu 6,5 Jahre, gefolgt von Mecklenburg-Vorpommern (5,6 Jahre), Berlin und Westfalen-Lippe (5,7Jahre) und Hamburg (4,2 Jahre). Schmerzpatienten in Sachsen-Anhalt erreichen mit einer Verzögerung von 3 Jahren eine geeignete schmerztherapeutische Behandlung.
Experten weisen seit Jahren auf massive Defizite in der Versorgung von Patienten mit chronischen Schmerzen hin und fordern die gemeinsame Selbstverwaltung im Gesundheitswesen zum Handeln auf. Diese habe es bislang nicht geschafft, geeignete Verbesserungsmaßnahmen zu ergreifen, obwohl ein dringender Handlungsbedarf auch von Seiten aller Fraktionen im Deutschen Bundestag mehrfach bestätigt wurde, sagte Nadstawek. Unnötige und kostenintenisive Diagnostik, Behandlungen und Operationen seien die Folgen der Patienten-Odysseen und der sich häufig daran anschließenden schmerzmedizinischen Fehlversorgung.
Schmerzen als Volkskrankheit nehmen einen Spitzenplatz bei den Krankheitsfehltagen und bei den Neuzugängen der Erwerbsunfähigkeit ein. Der volkswirtschaftliche Schaden, der durch chronische Schmerzen verursacht wird, ist nach Angaben der Bundesregierung (2013) hoch: zwischen 20,5 und knapp 29 Milliarden Euro, bezogen auf Kosten für Behandlung, Medikamente und Rehabilitation sowie indirekte Kosten durch vorzeitige Verrentung oder Arbeitsunfähigkeit.
Ein weiteres Problem: Nur 54,6 Prozent der zum „BVSD-Weißbuch Schmerzmedizin 2019“ befragten Schmerzmediziner hatten in den Jahren 2015-2017 keine Regressandrohung. In Regressfällen ging es am häufigsten (34 Prozent) um die Überschreitung des Arzneimittelbudgets: starke Opioi- de (51,1%), Antiepileptika (33%), Antidepressiva (22,7%). Von Regressfällen wegen der Überschreitung des Heilmittelbudgets waren 23 Prozent der Umfrageteilnehmer betroffen. Überdurchschnittlich häufig (>70% aller Nennungen) wurden Regressandrohungen für die KV-Bereiche Ba-den-Württemberg, Bayern, Niedersachsen, Sachsen, Schleswig-Holstein und Thüringen genannt.