Berlin, 4. Juni 2019. Anlässlich des 8. bundesweiten „Aktionstag gegen den Schmerz“ am 4. Juni 2019 warnt der Berufsverband der Ärzte und Psychologischen Psychotherapeuten in der Schmerz- und Palliativmedizin in Deutschland e.V. (BVSD) gemeinsam mit Partnerorganisationen vor einer weiteren Verschlechterung der Versorgung von Patienten mit chronischen Schmerzen. In Deutschland leben rund 3,4 Millionen Patienten mit schweren und hochproblematischen chronischen Schmerzen mit psychischen Beeinträchtigungen. „Nur ein Bruchteil dieser Patienten kann heute von einem der rund 1.000 ambulant tätigen Schmerzspezialisten versorgt werden. Zwischen den ersten Symptomen einer chronischen Schmerzerkrankung und dem Beginn von qualifizierten schmerztherapeutischen Maßnahmen liegen im Bundesdurchschnitt rund 4 Jahre. Bereits im Jahr 2012 haben wir auf diese für die Patienten mit chronischen Schmerzen beschämende Situation hingewiesen. Es hat sich nichts geändert. Auch 2019 werden Patienten mit schweren chronischen Schmerzen in Deutschland von einem Arzt zum anderen geschickt“, erklärte der BVSD-Vorsitzende, Prof. Dr. Dr. Joachim Nadstawek heute ein Berlin. Aktuelle Daten zur schmerzmedizinischen Versorgungssituation in Deutschland hat der BVSD in seinem kürzlich erschienen „BVSD-Weißbuch Schmerzmedizin 2019“ zusammengefasst.
Politische Versäumnisse seien für diese massiven Versorgungsdefizite bei chronischen Schmerzen verantwortlich, so der BVSD-Vorsitzende weiter. Das Bewusstsein für einen dringende Handlungsbedarf fehle in Deutschland. „Vor einer Woche hat die Weltgesundheitsversammlung erstmals die Aufnahme der chronischen Schmerzkrankheit in die internationale statistische Klassifikation der Krankheiten beschlossen. Das ist ein klares Signal an die gesundheitspolitisch Verantwortlichen in Deutschland sich endlich in Bewegung zu setzen“, meinte Nadstawek und forderte strukturelle Veränderungen in der schmerzmedizinischen Versorgung ein.
Auch das fast alle ärztlichen Fachgruppen betreffende Nachwuchsproblem wirke sich für die schmerzmedizinische Versorgung in besonderem Maße aus. Nach Berechnungen des BVSD stehen 54 Prozent der heute tätigen Schmerzmediziner in fünf Jahren vor dem Ruhestand. Im Durchschnitt sind Ärzte 54,1 Jahre alt. Das durchschnittliche Alter von Schmerzmedizinern beträgt hingegen 56,9 Jahre.
„Verschiedene Modelle und Vorschläge wie chronische Schmerzen verhindert und besser versorgt werden können, liegen seit Jahren auf dem Tisch. Gerade haben wir mit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung ein neues Konzept vorgestellt. Jetzt ist die Gesundheitspolitik gefordert, endlich zu handeln. Wir brauchen nun effektive Anreize für die Verbesserung der schmerzmedizinischen Versorgung in Deutschland“, sagte Nadstawek.
Mit dem neuen Ansatz einer multimodalen Behandlung von Patienten mit chronischen Schmerzen für die ambulante Regelversorgung, könne eine Chronifizierung von Schmerzen verhindert und die Verbesserung der Versorgung gelingen, so der BVSD. Im Mittelpunkt des neuen Vertragsentwurfs der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) steht die koordinierte und abgestimmte Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Fachdisziplinen in einem Team – im Sinne einer Spezialisierten Ambulanten Schmerzversorgung (SASV). Die KBV-Vereinbarung „Multimodale Schmerztherapie“ soll eine Optimierung der ambulanten Versorgungsqualität im Bereich chronischer Schmerzen durch die Vernetzung und den Aufbau interdisziplinärer Teams (Schmerzärzte, Psychotherapeuten, Physiotherapeuten, Pain Nurses) ermöglichen. Damit wäre die Abbildung einer ambulanten multimodalen Schmerztherapie in der Architektur der Gesetzlichen Krankenversicherung erstmals möglich.
Die Weltgesundheitsversammlung (World Health Assembly, WHA) hat Ende Mai 2019 die elfte Revision der internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten (ICD-11) beschlossen. Sie tritt am 1. Januar 2022 in Kraft und katalogisiert auch Störungen, die bislang noch nicht als solche anerkannt worden waren, darunter auch die chronische Schmerzkrankheit. Bislang (ICD-10) wurden chronischen Schmerzen eher als Symptom klassifiziert und verschiedenen Erkrankungen zugeordnet. In der neuen WHO-Klassifikation sind chronische Schmerzen als eigenständiges Krankheitsbild, die Schmerzkrankheit, abgebildet.
Weiterführende Informationen zum KBV-Vereinbarungsentwurf Multimodale Schmerztherapie: